Bern, 2. Oktober 2017

An der High-Level-Conference der EU-Kommission wurde letzte Woche in Brüssel darüber diskutiert, welche Rolle neue gentechnische Verfahren künftig für die europäische Landwirtschaft spielen könnten. Während  die EU-Kommission die Führungsrolle der EU in der Forschung und Entwicklung neuer Tier- und Pflanzenzuchtstrategien mit Hilfe der neuen Verfahren stärken möchte, sprachen sich kritische Wissenschaftler, Verbraucherverbände und die Internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM) für eine Risikobewertung  dieser Techniken zum Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit aus.

Die Entscheidung, ob die neuen gentechnischen Verfahren künftig unter die Gentechnik-Gesetzgebung fallen, wird die europäische Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion erheblich beeinflussen. Die EU-Kommission hat diese Entscheidung jedoch bisher immer wieder aufgeschoben.

Am Donnerstag, 28. September veranstaltete die EU-Kommission in Brüssel nun eine High-Level-Conference zu diesem Thema unter dem Titel „Moderne Biotechnologie in der Landwirtschaft - den Weg für verantwortliche Innovation ebnen“. Die Frage, wie Innovationen im Bereich der Biotechnologie unterstützt und gleichzeitig deren sichere Anwendung garantiert werden kann, wurde mit zahlreichen Experten diskutiert. Dazu gehörten EU-Parlamentarier, Mitglieder der Kommission, Wissenschaftler und Verbandsvertreter.

 

Während die Meinungen der Podiumsredner teilweise stark auseinandergingen, war sich eine Mehrheit des Publikums einig, dass die neuen gentechnischen Verfahren für die EU-Landwirtschaft in der Zukunft eine Rolle spielen sollen. Die Meinung des Publikums, das zu einem Grossteil aus Vertretern der industriellen Agrarwirtschaft und Politikern bestand, sei nicht repräsentativ für die Auffassung der Bevölkerung, meinte Camilla Udsen, leitende politische Beraterin beim Dänischen Verbraucherverband. Bei den Konsumentinnen und Konsumenten sei ein grosses Misstrauen gegenüber den neuen gentechnischen Verfahren spürbar. Aus diesem Grund hätte der Transatlantische Verbraucherdialog, ein Forum US-amerikanischer und EU-Verbraucherorganisationen, dem der Dänische Verbraucherverband angehört, eine gemeinsame Empfehlung über die neuen gentechnischen Verfahren verfasst. Darin wird die Forderung aufgestellt, dass Produkte, die mit Hilfe dieser Verfahren hergestellt wurden, als gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) reguliert sowie verbindlich gekennzeichnet werden müssen. 

Andere Stimmen meinten, dass von den neuen Techniken keine Gefahr für die Konsumenten ausgehe, da diese sehr präzise und zielgerichtet seien.  Es sei nötig, die Verbraucher  über die Sicherheit dieser Techniken zu informieren und ihr Vertrauen zu gewinnen. Nur eine Anwendung der Techniken garantiere die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Land- und Lebensmittelwirtschaft „Wir haben eine Innovationskrise in Europa und bisher keinen Weg gefunden, um Innovation in die Regulierung zu integrieren“, meinte John Bell, Direktor für Bioökonomie bei der EU-Kommission. „Es geht nicht darum, diese Techniken zu verbieten“, erwiderte Dr. Ricarda Steinbrecher, Vorstandsmitglied der Europäischen Wissenschaftlervereinigung ENSSER. „Wir brauchen jedoch eine Regulierung und Risikobewertung, da diese Techniken noch sehr neu und nicht ausreichend erforscht sind.“

Am Tag der Konferenz veröffentlichte ENSSER eine Stellungnahme zu den neuen gentechnischen Verfahren, die bisher von 60  Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterzeichnet wurde. Die Stellungnahme hebt hervor, dass diese Techniken, unbeabsichtigte, unvorhersehbare und potentiell negative Konsequenzen mit sich bringen können. Eine gründliche und wissenschaftlich unabhängige Risikoprüfung sei deshalb unerlässlich. Dies betonte am letzten Donnerstag auch Martin Häusling, Mitglied des Europäischen Parlaments: „Es gibt nicht DIE Wissenschaft, der man vertrauen kann. Universitäten sind heute vermehrt abhängig von Industriegeldern. Was wir brauchen ist eine unabhängige Risikoforschung, denn niemand kann heute prognostizieren, mit welchen Probleme wir in 20 Jahren konfrontiert sind“. Die Stellungnahme der ENSSER wird auch vom Schweizer Wissenschaftlernetzwerk Critical Scientist Switzerland (CSS) unterstützt: „Es wäre ein grosser Fehler, wenn Europa das bewährte Vorsorgeprinzip zugunsten einer schnellen Produktvermarktung aufgeben würde. Produkte aus diesen Verfahren könnten dann ungeprüft und ohne Kennzeichnung auch in Schweizer Regalen landen“, meint Dr. Eva Gelinsky, Vorstandsmitglied von CSS.

Jorgo Riss, Direktor von Greenpeace EU, hob hervor, dass man  immer im Auge behalten müsse, wer von der Anwendung der Techniken profitiere. Um die Probleme in der Landwirtschaft zu lösen gäbe es andere Ansätze, die noch dazu weniger Risiken mit sich brächten. Auch der Biolandbau und die Agrarökologie seien innovativ.

Am Tag der Konferenz veröffentlichte auch IFOAM EU eine Stellungnahme zu den neuen gentechnischen Verfahren. Darin wird betont, dass alle neuen Verfahren unter die Gentechnikgesetzgebung fallen müssen. Es gäbe weder rechtliche noch wissenschaftliche Gründe, diese Techniken von der Regulierung auszuschliessen. Eine Deregulierung hingegen würde die Gentechnikfreiheit des Biolandbaus und der gesamten gentechnikfreien Landwirtschaft gefährden.

Kontakte:

  • Tamara Lebrecht, Geschäftsführerin CSS           
  • Eva Gelinsky, Vorstandsmitglied CSS            

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